Unsere Begleiter auf dem Weg nach Spandau Beach treten ihre Rückreise mit der Deutschen Bahn auf reservierten Plätzen in Fernverkehrszügen an. Die Verwendung von Nahverkehrszügen ist aufgrund der aktuellen Situation kritisch anzusehen. Also bleibt auch für die Heimfahrt das Rennrad die erste Wahl. Wir, also Frank und ich, haben uns nicht dem „Simon Pritzkat-Gerthenrich-Team“ angeschlossen, das bereits um 7.30 Uhr ab Spiegelturm flott zurück nach St. Pauli kurbeln will, sondern wir haben eine südliche Route mit dem Ziel 7even im Sinn.
Nach einem reichhaltigem Frühstück steigen wir in die Pedale. Wir queren unmittelbar die Havel. Ihrem Lauf folgen wir in Richtung Potsdam und passieren hierbei nochmals das Städtische Wassersportheim Alt-Gatow, das Ziel der gestrigen Etappe war.
Angelangt im Land Brandenburg pedalieren wir auf der „Sacrower Landstraße“, einer schmalen, kurvenreichen und hügeligen Waldstraße durch das Naturschutzgebiet „Sacrower See und Königswald“.
Weiter führt die Strecke in Richtung Potsdam über die „Straße nach Sacrow“ an die Bundesstraße B2. Die wollen wir sogleich wieder über Neu Fahrland verlassen. Doch wir stranden in einer Siedlung, die wegen zahlreicher einsturzgefährdeter Gebäude komplett durch Bauzäune abgesperrt ist. Also geht es nochmals kurzzeitig zurück auf der Bundesstraße B2, dann aber mit Kurs Nordwest auf die Autobahn A10 zu. Nach der schmalen Autobahnbrücke werden wir arg überrascht. Zunächst ist von der schmalen Asphaltstraße nur noch das mittlere Drittel sichtbar, aber bald finden wir uns auf einem Gravelkurs wieder, der abschnittsweise mit Panzerstraßenplatten befestigt ist. Glücklicherweise stoßen wir nach knapp zehn Kilometern in Ketzin an der Havel wieder auf asphaltierte Straßen. Auf unserem weiteren Weg über Zachow, Roscow, Lünow, Radewege und Brilow erleben wir ein wahres Fahrradparadies mit naturnahen, schmalen Straßen ohne Motorverkehr – nur gelegentlich müssen wir ein paar Sonntagsspaziergänger aus ihren Träumen wecken. Im Norden der Stadt Brandenburg erreichen wir danach die breit gebaute Bundessstraße B102, die uns verkehrsarm über Havelsee bis Premnitz führt. Der lausig kalte Gegenwind macht müde und so gibt es kein umhin die star-Tanke anzusteuern. Es ist 12.26 Uhr, es gibt leckeres Laugengebäck, Schokolade, einen Becher Kaffee und einen arg verkleinerten Gastbereich mit nur einer Polsterbank und einem kleinen runden Tisch. „Tut mir leid, hier drinnen dürfen sie nicht essen. Aber wir haben draußen eine Bank, da können Sie sich hinsetzen.“
Wieder in den Pedalen verlassen wir am Ende der Kleinstadt die Bundesstraße B102, queren die Havel gen Milow und gelangen nach Sydow und Fischbeck in Sachsen-Anhalt. Von der kleinen Bundesstraße B107 (Genthin – Havelberg) fahren wir nun auf den Radweg der verkehrsträchtigen Bundesstraße B188 (Friesack [B5] – Wolfsburg) um die Elbe unabhängig von potentiell eingeschränkten Fährfahrplänen queren zu können.
Nun haben wir 117 Kilometer in Sack und Tüten. Der Wind bläst uns auf der freien Pläne schier unaufhörlich entgegen. Kurz tröstest uns die städtische Deckung von Stendal, doch dann geht es geradewegs weiter, immer West-Nordwest. Es scheint ein vermeintlicher Lichtblick als wir die Ortstafel mit der Aufschrift „Steinfeld“ lesen, doch es geht weiter, immer weiter. Es folgt eine kurze Ablenkung durch eine Straßenbaustelle in Kläden und weiter, immer weiter gegen den Wind. Wieder erreichen wir eine Stadt, die uns kurzzeitig Deckung gibt, es ist Bismark. Wir sind hier keinesfalls an den St. Pauli Landungsbrücken und einladend ist hier rein garnix. Die Kurbeln kreiseln langsam und der Wind zehrt an den Beinen und plötzlich stranden wir in Kalbe. In Kalbe (Milde) gibt es immerhin eine große Tanke. Kaffee, Laugengebäck und Schokalade sind es, was wir mit um die Ecke nehmen zu einer windgeschützten Mauer, auf der es sich gut sitzen lässt, so dass man die Beine ausstrecken kann.
Jetzt sind 165 Kilometer in Sack und Tüten, aber es geht weiter. Der Kurs wird zackiger und es gibt ein kurzes Stelldichein mit der Bundesstraße B71, die uns wahrhaftig bis nach Kakerbeck führt. Dort verlassen wir die Bundesstraße, denn es geht weiter in Richtung West-Nordwest. Der Kurs wird inzwischen etwas welliger und wir geraten ins Grübeln über Kuriositäten im Straßenbau. Besonders um Poppau in der Gemeinde Beetzendorf finden sich schöne schmale Asphaltstraßen, die allerdings in den Steigungen bzw. Gefällen immer wieder mit fünfzehn Meter langen Abschnitten von Kopfsteinpflaster unterbrochen sind. Da kann man nicht einfach rollen lassen. Das sieht nahezu aus wie: „Radfahrer unerwünscht!“ Etwas entrüstet oder zumindest genervt erreichen wir Abbendorf und fühlen uns gleich viel besser. Als wir danach durch Diesdorf pedalieren, zieht mir der Duft von frischem Kaffee um die Nase. Eine verträumte „Eisdiele“ lockt uns mit frischen Backwaren und selbstgemachtem Eis.
Wir sind entzückt: Leckerer Mohnkuchen, ein Eis und nen schönen Pott Kaffee. Drinnen ist die Eisdiele zwar leer, aber wir haben uns wohl schon an die Plätze vor der Tür gewöhnt. Das hat so vielmehr als der eingepackte Kram von der Tanke. Hier geht das eben los mit Wohlbefinden und Glücksmomenten.
Wir haben nun 209 Kilometer abgerissen und den kleine Rest, den schaffen wir auch noch! Und das erste schaffen wir ganz schnell, nach nur weiteren sechs Kilometern haben wir Rade in Niedersachsen erreicht. Leider währt der Stolz nicht lang, denn erstens verlässt uns nun das Tageslicht und zweitens widerfährt mir im zweiten Dorf Niedersachsens sogleich eine Reifenpanne.
So reisen wir nun durch die Dunkelheit, Über Hankensbüttel und Sprakensehl gelangen wir in den Naturpark Südheide. Der Wind ist abgeflaut, aber so wirklich schneller voran kommen wir trotzdem noch nicht. Das liegt aber wohl eher daran, dass dieser Streckenabschnitt nochmals etwas welliger ist. So geht es im Bogen über Unterlüß und „zack!“, es ist 20.55 Uhr, wir sind in Hermannsburg und mein Bauch ist leer. Die ersten zwei Lokale lassen wir gerne liegen, aber die Taverne soll uns feine Nudeln servieren. Frank philosophiert kurz noch etwas von langen Verdauungszeiten für langkettige Kohlehydrate. Aber was nutzt mir das, wenn ich hinterher zu kaputt und müde bin um mir selbst Nudeln zu kochen. Und erst recht verstehe ich nicht, was die Länge der Nudeln damit zu tun haben soll.
Die Pasta war vorzüglich, getrunken haben wir gut, jetzt müssen wir nur 100 Kilometer weiter pedalieren. Unsere warme Rast hat 50 Minuten verschlungen, doch nun geht es wieder mit Schwung auf die Straße zurück. Einer ist aber auch wieder zurück, einer den wir nicht unbedingt brauchen: Der Wind aus West-Nordwest. Dabei ist es nur ein schwacher Trost, dass unser Kurs nun auf Nordwest schwenkt. So reiten wir denn durch Klein Amerika nach Wietzendorf. Die Tafel von Brümmerhof verleiht uns nochmals ein Lächeln bevor wir über Harber in Soltau einziehen. Die Straßen sind ungeheuerlich leer und irgendwann sind es Franks Wasserflaschen auch.
Damit schwindet auch die Frage vom heutigen Morgen, „wozu die zwei Flaschenhalter?“ – „Frank, damit ich dir das Wasser reichen kann. Ich habe es aus Zeven mitgebracht und es hat eine lange Reise hinter sich.“ Frohen Mutes ziehen wir weiter über Neuenkirchen nach Jerusalem. Der Wind ist kaum noch zu spüren, denn der tadellose Asphalt auf der nahezu verkehrsleeren Bundesstraße B71 ab Soltau lässt uns so richtig flott rollen und vom Wind „merkste nix“. In Rotenburg halten wir ein letztes Mal kurz bei Aral an, denn Frank braucht für seine letzten 36 Kilometer unbedingt noch einen Gummibärensaft. Kaum eingeflößt zieht er ab über den Kreisel, hinab zur B75 und hinauf zur B71, „es wirkt!“ Der Belag der Bundesstraße B71 ist nun nicht mehr ganz so bezaubernd und der Wind hat kräftig nachgelegt, doch das kann doch einen Rando nicht erschüttern! Wir hoppen eben bei Bockel über die Autobahn A1 und schon stehen wir vor der ehemaligen Zevener Post an der roten Ampel. Zehn, fünfzehn Kurbeldrehungen weiter schwenken wir an der Kivinanstraße zum Neubau der Sparkasse.
Es ist vollbracht! Ja wir haben die Rückfahrt von Spandau Beach auch ohne die Deutsche Bahn bewerkstelligt auf unserer Reise gegen den Wind über vertraut klingende Orte…
Fischbeck,
Steinfeld,
Kalbe,
Kakerbeck,
Abbendorf,
Rade
und
Brümmerhof.
In Summa: 738 Kilometer und 3879 Höhenmeter in zwei Tagen 7xBx7. Falls jemand in zwei Jahren wieder auf die lange Tour gehen möchte, hier ist also ein Track für die Rückfahrt …