Mit dem Tageslicht von Hamburg nach Berlin
Viertel vor Sieben ist es, als wir am Curslacker Heerweg etwas aufgeregt unsere Pedalkurbelmaschinen ausladen und zusammen bauen. Auf der Anfahrt hatte uns ein steter Nieselregen begleitet und der Wind kam teils böig aus Nordwest. – „Habe ich wirklich alles dabei, was ich brauche oder schleppe ich wieder zu viele Sachen überher mit?“ – Im Frühstückssaal geht es beachtlich ruhig zu, die Startnummern können direkt ohne Warten vom emsigen Orgateam des Audaxclub Schleswig-Holstein entgegengenommen werden. – Liegt das an unserer späten Startzeit? 7.32 Uhr, so spät sind wir noch nie auf die Strecke gegangen und die große Frage, die sich damit schon lange vorher stellte: „Werden wir das Ziel noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen können?“ – Erstmal zwei Brötchen, Aufstrich und Kaffee vom Buffet holen, denn es ist noch genügend Zeit zum Frühstücken. Auf dem Weg eine kurze, freundliche Begrüßung von zahlreicher aus den vorangegangenen Veranstaltungen bekannten Kameraden. – „Welch eine Ruhe im Saal!“ Nur unser Frank ist noch etwas angespannt: „Da bei Penny kann ich glaub ich nicht stehen bleiben. Einer meinte, die lassen abschleppen. Ich geh noch mal raus!“ – Ach wie gut der heiße Kaffee doch tut und sogar das Timing der Verdauung klappt hervorragend. Na, ich tausche das Langarmtrikot nun doch noch gegen das Kurzarmtrikot und Armlinge. Aber jetzt kommt der Rücksack zu. Heiko hat nun auch seine Brötchen auf dem Teller und Frank ist wieder zurück, „jetzt steh ich wohl gut?“ So, dann noch schnell eine weitere Tasse Kaffee und Frank bringt zwischendurch die Rucksäcke zum Sprinter des Audaxclub-SH. Beim Hinausgehen rufe ich dem liebevoll aufgestellten Porträt der Seele dieser Tour noch rasch mit etwas Wehmut ein „Tschüß Burkhard!“ zu und weiß nur zu gut, dass er heute keine Fotos für uns machen wird. Vor der Tür lassen wir die Rahmennummern ans Oberrohr tackern und dann ist alles klar. „Warum habe ich denn noch kein Wasser in der Flasche?“ Also noch schnell wieder in den Frühstückssaal, voll machen und wieder ab aufs Rad. Erster Aufruf für „Zevener Fahrradverein!, aber ist noch fünf Minuten Zeit.“ Da könnte man glatt noch einen Kaffee trinken, anstatt draußen im Nieselregen zu warten. Vor zwanzig Minuten hat die Dämmerung begonnen, gleich ist es hell, aber Bewölkung und Regen lassen das Einschalten der Beleuchtung unbedingt anraten. Noch eine Minute und dann geht es, zack, los! Dieses Mal fahren wir richtig herum, ohne den Bogen vom vorletzten Jahr. Doch der Straßenbelag ist so übel, dass sich bereits nach einem Kilometer der Klettverschluss meiner Profile-Flasche löst und ich erst einmal wieder anhalten muss. Unbeirrt, dass und gleich die nächste Startgruppe überholt, setzen wir unseren Ritt fort und kommen sodann am Altengammer Hauptdeich schon gleich in Fahrt. – Ausgerechnet Heiko bittet darum, dass wir zunächst noch etwas ruhiger anrollen. – Okay, ich habe zwar keinen Tacho am Rad, aber ich lege die Kette etwas nach links und so rollen wir über die Geesthachter Schleusenbrücke auf das linke Elbufer. Hier in Marschacht waren wir im letzten Jahr bei unserer außergewöhnlichen 7xB-Tour von Zeven aus nach 100 Kilometern auf die Route des Audaxclub-SH gestoßen. Heute sind die Beine noch ganz frisch, doch dafür haben wir feinen Nieselregen. Auf der Elbe liegt heute kein Frühnebel und wir sehen keine aufgehende Sonne, nee, nur dicke Wolken, Nieselregen und da weht teils böiger Wind. Am östlichsten Zipfel von Hamburg sind wir wieder gestartet, haben kurz einen Zipfel von Schleswig-Holstein angekratzt und nun rollen wir entlang der Elbe, die die Nordostkante von Niedersachsen bildet. Auch wenn unser Tempo moderat erscheint und keinesfalls „Reisegeschwindigkeit“ entspricht, so rollen wir doch schon früh an so manchen Gruppen vorbei. Die Hügel bei Hitzacker sind bei weitem nicht so sonnig wie im letzten Jahr, aber dafür kommen wir hiervon auch nicht so sehr ins Schwitzen. Während wir einige Radler bei erster Rast am Bäcker von Hitzacker entdecken, radeln wir emsig weiter und kommen bald zurück an den Elbdeich. – Dabei kann ich Frank von einem Erlebnis aus 2012 erzählen, als diese schmale Deichstraße teils fünf Zentimeter dick mit Schafkötteln beladen war und meine Reifenpanne damit zur echten Herausforderung wurde. – So gelangen wir an die große Elbbrücke, die uns nun von Niedersachsen nach Mecklenburg-Vorpommern führt und fahren direkt auf die einzige Kontrollstelle unserer Tour. Als würde hier noch eine Grenze verlaufen, ist hier urplötzlich Schluss mit Regen und Wind. Ganz beschaulich fahren wir auf die große wiederverbindende Brücke und genießen den freien Blick auf die Niederung der Elbe. Wir bemerken eine Gruppe von fünf Radlern, die gut 100 Meter vor uns bereits unmittelbar nach der Brücke rechts abschwenkt und damit die Kontrolle verpasst. Wir rollen nach der Brücke nur noch 200 Meter weiter und haben danach unser erstes Etappenziel erreicht. Die ersten 95 Kilometer sind noch vor Ablauf von drei Stunden weggedrückt und wir haben uns damit erst einmal einen Becher Kaffee verdient, den wir hier nun ohne Regen genießen dürfen.
Hier treffen wir auch auf den Kameraden Stephan, mit dem wir am letzten Wochenende gemeinsam bei Gravel-7 unterwegs waren.
Schnell noch ein Fotoschuss, ein weiterer Kaffee und dann wieder ab aufs Rad.
Das Anrollen verläuft merklich zähflüssig, aber das wird sicher wieder werden, es muss einfach gehen. – Noch vor der Ortschaft kommt uns die Gruppe entgegen, die gleich nach der Brücke abgekürzt hatte. Schön, die haben ihren Fehler bemerkt und erreichen nun auch die Kontrolle. – Indes hoppeln wir nun also durch den alten Ortskern von Dömitz auf schmalen Einbahnstraßen über das Kopfsteinpflaster. Unsere Beine, die während der kleinen Rast träge gewordenen sind, werden hierdurch auch gleich wieder agil. Der Sprühregen setzt wieder ein und wir kurbeln fleißig weiter. Wir rollen, wir rollen unbeirrt voran und irgendwann ist der Regen wieder fort. Langsam wird es milder. Meine dünnen Handschuhe habe ich schon in Dömitz weggesteckt und nun bin ich froh, dass ich auch die Armlinge abstreifen kann. Wir sind richtig gut in Schwung, als wir in Wittenberge einlaufen, nein, das ursprüngliche Vorhaben, hier auf halber Strecke bis Rhinow nochmals eine Rast einzulegen, verwerfen wir frohen Mutes. Ebenso lassen wir uns nicht von einigen motorisierten Honks beirren, die hier ihr Unwesen treiben. – „Wir fahren nach Berlin, und zwar heute!“ – Gleich hinter dem Stadthafen queren wir die große Brücke über die verschmelzenden Zuflüsse Stepenitz und Karthane führt und so erreichen wir erneut den Elbdeich. Während der Kraftverkehr sogleich wieder im Bogen abgelenkt wird, verbleiben wir direkt auf dem neu asphaltierten Deich, der uns einen märchenhaften Ausblick auf die Elbaue Beuster-Wahrenberg gestattet. Zu unserem Entsetzen sind die letzten 400 Meter bis Hinzdorf nicht versorgt worden und immer noch mit einem arg groben Schotter versehen, den kein Rennradfahrer mag. Nachdem dieses Übel überwunden ist, kreisen wir einmal um das Pfannkuchenhaus und pedalieren dann weiter ganz nah an der Elbe entlang, bis diese sich gleich in Richtung Süden abwenden wird.
Während die Semiprofis von hier über Bad Wilsnack auf die Bundesstraße 5 zusteuern, verbleiben wir auf ruhigen Straßen, die uns über Roddan gen Süden an die Havel führen. Wir erreichen Havelberg etwas ausgelaugt, sind zunächst etwas uneins über den Punkt einer Rast, aber gehen dann doch lieber zu Netto. Jetzt wäre ne Cola ganz gut, vielleicht noch etwas Kuchen und ein Kaffee. Okay, das mit der Cola funzt, der Pappkaffee ist so lala, aber der Kuchen kommt dreifach plastikverpackt aus Dänemark. Was soll’s, der Hunger treibt es hinein. Und irgendwie ist es hier in der Sonne auf der Mauer vor dem Discounter fast so, als wäre man auf den Balearen im Zentrum von Petra. Entspannt geht es zurück auf die Straße. Wir rollen hinab zur Havel, queren sie auf der großen Brücke und folgen ihrem Lauf auf dem liken Ufer weiter gen Süden.
Nach erneutem Queren der Havel entfacht das Passieren von Strodehne erneut Erinnerungen an einen wohlig wärmenden Kachelofen. Unbeirrt radeln wir weiter und erreichen bei Berge die Fahrradstraße, die uns fern der B5 sicher weiter führen mag.
Leider sorgt die bescheidene bauliche Ausführung für mangelhafte Verfügbarkeit. Die Oberfläche ist auf den ersten paar hundert Metern teilweise so stark aufgeplatzt ist, dass mein Vorderrad einen durchschlagenden Plattfuß widerfährt. – Heilfroh sind wir aber darüber, dass es uns hier noch lange nicht dämmert, so wie es im letzten Jahr hereinbrach. Wir sind noch richtig gut in der Zeit und ziehen nun flott weiter. Falkensee ohe, einmal quer über die Heerstraße und zack sind wir in Alt-Gatow.
Neun Stunden und 21 Minuten, wir haben es geschafft, „Prost!“
Es ist vollbracht!
Tschüß Berlin, bis zum nächsten Jahr!