Findige(s) List und windige Bahn – Aufbruch nach Sylt

Auf, auf nach Sylt wollen wir radeln mit dem Audaxclub Schleswig-Holstein! Vierzehn Tage zuvor waren dabei ganz große Zweifel aufgekommen, denn ein Grönland-Tief sollte uns Temperaturen um minus acht Grad Celsius bereiten.

Es Sonntag, der 24. Februar 2013. Es Trainingszeit und unser Gerrit entspannt sich immer noch auf der Sonneninsel, Rainer ist am malochen, … – Letztendlich sind wir nur zu dritt und bereit zu einem Ride auf dem Mountainbike! Die Temperatur liegt knapp unter dem Gefrierpunkt und die Luftfeuchtigkeit ist extrem hoch. Der hölzerne Thomas führt den eisernen Dirk und mich ins Feld hinaus. Nachdem wir Uwes Lama-Ranch passiert haben, folgt im Düngel eine erste Trageeinlage. Die Route wird knackig und das Tempo ebenfalls. Um Selsingen herum und quer hindurch ziehen wir ausgiebige Schlaufen mit ständig wechselnden Ansprüchen. Durch den Düngel schließen wir auch wieder ab und verabschieden Dirk in den Sonntag. Zusammen mit Thomas gilt es danach noch einige satte Züge durch die Ahe zu cruisen. Das geht heute mit besonderem Pep und während Thomas an einem der kleinen Anstiege leicht abschmiert, lege ich mich direkt hinter ihm auf die Seite. Dabei hänge ich mit viel Laub unterm Schuh im Pedalsystem fest und fühle mich in dieser Lage hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken. Nach der Befreiung geht es schnell wieder sauber in die Pedale und nach weiteren Runden landen wir zur Kaffeepause beim demokratischen Bäcker am Markt.
Am Freitagabend, den 1. März, mache ich mich eilig daran, den Robert mit seinem Dynamolaufrad und griffigen Tourendecken zu versorgen. Da die Temperaturen wiederum unterhalb des Gefrierpunktes liegen, entsage ich einer Anfahrt mit Rad und Bahn über Buxtetown. Daher verlade ich den Robert schon abends in meinen Wagen und auch die Ausrüstung ist verpackt. Als am nächsten Morgen um 4.00 Uhr mein Wecker klingelt, bin ich einfach nur grauenhaft müde. Unterstützt von viel Kaffee sitze ich um 5.00 Uhr am Steuer und fahre durch den Nebel in Richtung Hamburg. Nach einem kurzen Tankstopp in Stillhorn erreiche ich den Bahnhof Ahrensburg um kurz nach sechs Uhr. Mein Bordthermometer weist immer noch ein Minus von zwei Grad Celsius aus. Das kann ich nun auch nicht mehr ändern und deshalb gilt es auszusteigen und den Robert fahrbereit zu machen. Die Trinkflasche in den Halter, das Navi montiert, die Luftpumpe in die Halterung. Nun noch die Einspannung der Laufräder gerichtet und möglichst genau die Einstellung der Scheibenbremsen justiert. Die Kabelbinder zur Fixierung von Helles Hecktasche liegen griffbereit auf dem Autositz, ebenso wie der spezielle Inbusstern für die sichere Fixierung der hinteren Sattelstütze (in gelegentlich wechselnder Höhe). Nun noch schnell die Sattelstütze aus dem Rohr gezopgen und ab ins warme Auto – brrrr! Helle hat heute einen speziellen Sattel mitgebracht, der mehr Entspannung bringen soll. So wird nun der gelbe Flite demontiert und durch ein anderes Sitzpolster ersetzt. Mittlere Position, maximaler Neigungswinkel und dann wieder hinaus zum Robert. Just als die Sattelstütze fixiert ist, trifft Jochen ein und er begrüßt seine ersten Gäste mit den Worten: „Das hätte ich mir ja denken können!“ Während ich noch in der Kälte die Hecktasche fixieren muss, verschwinden die beiden in der schützenden Bahnhofshalle. Als ich in meine Radschuhe schlüpfe, trifft ein weiterer Radler ein. Er stellt sich als Stefan vor. Ich richte noch schnell meinen Kopfschmuck und dann begeben auch wir uns zu den anderen in die Bahnhofshalle. Im Zeitungs- und Bücherladen rührt sich schon Leben. Genau wie im Bäckerladen, aber die Türen sind noch alle zu. Derweil treffen weitere Radler ein. Es sind der liegende Björn, der rastlose Maik und der rotierende Uwe. Die Uhr geht auf sieben zu, doch ein Pott Kaffee muss noch drin sein. Warum der zusammen mit einem ganzen belegten Brötchen 50 Cent teurer ist als mit zwei halben, das ist dann aber eine Aufgabe der höheren Mathematik. Wir treten nun vor die Tür hinaus und steigen in die Pedale. Es wird schon etwas hell, aber es ist immer noch saukalt. Verlockend erscheint da der Gedanke, einfach ausgiebig zu frühstücken und die Räder stehen zu lassen. „Nee, wie ist das denn?“ und außerdem hat Jochen kund getan, dass wir noch jemanden aufnehmen wollen, der nach Aukrug anfahren will. Zu siebt auf sechs Fahrrädern ziehen wir also los, aus Ahrensburg hinaus und außerhalb des Ortes sieht die Luft noch kälter und feuchter aus. Im letzten Jahr war ich zu dieser Tour in Dreiviertel angetreten, aber heute wäre das mehr als gewagt gewesen. So strampeln wir in langen Beinkleidern voran auf einem Kurs, der ganz klar das Prädikat „kurvenreiche Strecke“ verdient hat. Der ortskundige Jochen hat die Meidung selbst mäßig befahrener Straßen so sehr minimiert, dass wir sogar diese immer nur wenige Meter befahren, um sogleich in die nächste Nebenstraße zu gelangen. Wir sind knapp zehn Kilometer unterwegs, da ist vom Robert ein ganz übles Krachen zu vernehmen: „Kettenriss!“ Also schnell den Nieter herraus geholt, Maik reicht sogar noch ein paar Einmalhandschuhe und schon ist das schadhafte Glied entfernt. Die Kette wird mit dem unvollständig ausgetriebenen Niet wieder verschlossen. So geht es also gleich weiter. Doch leider ist das Glück des Doppelsitzers nicht von Dauer. Bereits nach wenigen Kilometern folgt ein kleiner Anstieg und die Qualität der Behelfsreparatur hat ihr Ende gefunden. Jochen bricht auf, um schnell eine Ersatzkette von daheim zu holen, damit unsere kleine Gruppe weiter gemeinsam ins Abenteuer hinaus ziehen kann. Während der scheinbar unendlichen Zeit des Wartens tritt dann plötzlich vorzeitige Hilfe ein. Auch Lieger Björn fährt neunfach und hat doch noch ein Kettenschloss dabei. Schnell ist das schadhafte Laschenpaar aus der Kette entfernt und die Kette wieder mit dem Schloss geschlossen. Nur wärmer geworden ist deshalb noch keinesfalls. Nein, im Gegenteil, während wir auf die Rückkehr von Jochen warten, treibt der eisige Nordwest die Kälte in die Knochen. Erst zieht Stefan ein paar Schleifen und dann muss auch ich mich rühren, um nicht zu erfrieren. Die Kleidung, die zum Fahren richtig ist, taugt noch lange nicht, um im Wind zu stehen. Als Jochen mit der Ersatzkette zurück kehrt und wir wieder auf die Strecke gehen können, haben wir gut 40 Minuten verloren. Gut, dass er es mit Humor nimmt: „Die Kürzung der Anfahrt nach Niebüll um 33 Kilometer war schon findig!“ Auf zwölf Laufrädern mit 14 Pedalen ziehen wir nun also voran und dem Nordwest entgegen. Während Stefan kaum zu halten ist, wähnen sich andere noch im Winterschlaf. Doch mit dem Winterschlaf ist nun Schluss, die Roadbike-Saison ist hiermit eröffnet und da geht die Post ab. Kurz vor Aukrug haben sich Stefan und unser Robert-Team einige hundert Meter von den anderen abgesetzt. Während Stefan kurz in die Büsche verschwindet fällt kurz danach ohne Ankündigung unser Navi aus. Wir versuchen der Straßenbeschilderung zu folgen und erreichen nach kurzer Zeit eine Tankstelle. Der Aushilfskassierer ist an diesem Samstag zwar überhaupt nicht orientiert, aber wir finden dennoch selbst in diesem sehr merkwürdig geordneten Shop die gewünschten Batterien. Nur 300 Meter sind wir vom Track abgekommen und treten daher schnell wieder heran. Auch wenn der Versorgungspunkt spurlos vom Track verschwunden ist, so erkennen wir in Erinnerung an die Auflage des Vorjahres den markanten Einkaufsmark und treffen auf die übrigen Radler. Genussvoll schlürfen wir beim Bäcker heißen Kaffee und schlemmen Kuchen und Torten. Der avisierte Zwischeneinsteiger taucht nicht auf, aber Stefan muss abtauchen, da seine Tochter dringlich seiner Hilfe bedarf. So starten wir um 11.23 Uhr zu sechst auf fünf Rädern und erreichen zehn Minuten später die Nord-Ostsee-Kanal-Fähre in Breiholz. Der Wind hat auf Südwest gedreht und wir ziehen dank der kleinen Pause wieder zügig voran. Ganz kurz kommt leichter Niesel auf, doch Petrus hat dann doch ein Einsehen mit uns. Der Wind dreht auf straight West und bläst stetig. Der Streckenverlauf enhält inzwischen kaum noch Bögen. Wir fahren entweder nach Nord oder stramm dem Wind entgegen nach West. Die zumeist freie Pläne der Region ist dem Vorankommen keinesfalls hilfreich und macht den Ritt immer beschwerlicher. Als wir nach ein er Rast in der Tanke von Viöl wieder aufbrechen, schlägt die Uhr viermal. Es ist nur noch ein kleines Stück, doch dem einem oder anderen schwinden die Kräfte dahin. Der Wind ist erbarmungslos und zwingt manch einen dann auch ein, zwei Mal in die Knie. Björn nutzt die Gunst der Stunde, um in einer Wartezeit mal ne kleine Testrunde mit Robert um den Block zu wagen, während sich andere scheinbar mühevoll etwas Energie in den Bauch schieben. Unterwegs hat de Robert die größte Windfläche und so versuchen wir anderen so weit wie möglich Windschild zu sein. Jochen ist sich inzwischen sicher, dass es eine weise Entscheidung war, nicht List, sondern einfach Sylt als Ziel der Tour festzulegen. Diese listige Entscheidung war nicht erst jetzt gefallen, sondern schon vor dem Start. Und zwar aus dem Grunde, dass die für die Rückreise angestrebte Bahnnutzung aufgrund von Gleisbauarbeiten auf der Strecke zwischen Niebüll und Hamburg eingeschränkt sein wird. Mit eisernem Einsatz treten wir also voran und folgen ein Stück des Weges sogar den Schienen, die zum Hindenburgdamm führen sollen. Nach harten Kampf passierten wir den Sylt-Bahnhof für den Kfz-Transfer und landen pünktlich zu 18.00 Uhr am Passagier-Bahnhof von Niebüll. Unsere Absicht, wenn auch nur für eine Viertelstunde des Bahnaufenthaltes in Westerland überzusetzen, wird leider von der Bahn niedergemacht. Selbst bei einer unmittelbaren Kehre in Westerland würden wir heute nicht mehr zurück nach Hamburg oder Ahrensburg gelangen können. Der Grund hierfür ist die Einrichtung eines Bus-Ersatzverkehrs, den wir mit unseren Rädern nicht nutzen können. Wir sind daher gezwungen, in Husum umzusteigen und von dort über Kiel nach Hamburg zu reisen. Nach ultimativer bedienungqualvoller Erlangung von Fahrrad-Tickets am unfreundlichsten Automatensystem, das die Bahn je zu bieten hatte und einem kurzem Aufenthalt im Bahnhofslokal oder dem angrenzenden Kiosk begeben wir uns auf den fahrrad-unfreundlichen Bahnsteig von Niebüll . Wir steigen in den ersten Zug unserer langen, zerstückelten Rückfahrt. Unterwegs gibt es viel zu plaudern. Um 0.45 Uhr sind wir endlich wieder am Startpunkt. Wir haben die 240 km nicht vollenden können, aber gefühlt liegen die tatsächlichen gefahrenen 207 km mit meist deftigem Gegenwind bei über 250 km.
bon courage!