Belgischer Brevetstart am 26. Februar

Brevetrad und Gepäck sind längst im Wagen verstaut, als ich am Feierabend in den Südwesten aufbreche. Selbst den Ruhrpott durchfahre ich ohne nennenswerte Stockungen und erreiche um 20.00 Uhr Morhoven, das kleine Dorf in der Gemeinde Herentals in Flandern. Herzlich ist auch wieder der Empfang bei Jeannines Bed&Breakfast.

Als ich von der leckeren Pasta-Stärkung im Zuiderhuis zurückkehre, ist auch der Stepper Wim eingetroffen, der Jeannine und mir von seiner Teilnahme am unglaublichen Tretroller-Rennen über 650 km nach Zwolle/NL berichtet. Bald treffen auch Gilbert und Gino ein, die Jungs der Bagage-Crew vom HCH2010. Jeannine serviert uns zur Nacht leckeres Duvel Speciaalbeer und so plaudern wir noch ausgiebig von unseren Erlebnissen beim Belgischen Superbrevet im letzten Jahr. Das Frühstück serviert Jeannine uns wieder lecker und in solchem Überfluß, dass wir beinahe versäumen pünktlich am Start zu sein. Als ich vor der Turnhalle eintreffe, machen sich dort zahlreiche Radler startklar.

Während die einen noch schnell ihre Brevetkarte holen genieße die anderen in Ruhe einen Koffie und Vlaamse Waffles. Organisator Jan begrüßt jeden einzelnen der 41 Starter ganz herzlich und gibt abschließend noch letzte Hinweise zur heutigen Strecke, die ich wieder einmal nicht verstehe, weil er dies auf Flämisch tut.

Wir starten nicht als komplettes Feld, sondern in Gruppen von drei, fünf oder zehn Fahrern. Da mein Tachomagnet verrutscht ist, wende ich einige Zeit auf ihn zu richten und starte mit der letzen Gruppe. Wir ziehen gleich flott los, aber mein Tacho versagt weiterhin den Dienst. Egal, es kann auch so getreten werden. Bereits nach weinigen Kilometern passieren wir den Stepper Wim, der sicher nicht zum ersten Mal den frechen Spruch erntet: „Your chain is off!“ Im leichten Niesel rollen wir bei sanften 7,6 Gras Celsius über eine Betonpiste mit teils argen Kanten einem leichten Wind aus süd-südwest entgegen. Trotz dieser kleinen Widrigkeiten ist das Tempo der Gruppe sportlich, obgleich die Führungswechsel nur selten erfolgen. In der Reihe hinter mir wir auffallend viel geplaudert. Aber vielleicht fällt es mir auch nur deshalb auf, weil nicht wie üblich Flämisch oder Französisch gesprochen wird, sondern Englisch. „Drrrssst, TSCHAPPERDONG!“, da fährt mir jemand auf mein Hinterrad und pardauz knallt ein Rad auf die Straße. Vorsichtig stoppt die komplette Gruppe. Mein Hintermann war infolge der lebhaften Plauderei unaufmerksam und ist durch den Anstoß zu Fall gekommen. Glücklicherweise steht er sofort wieder auf den Beinen. Aber was ist mit seinem Rad? Das Schaltwerk ist in das Laufrad hinein verbogen und die Käfige der Schaltröllchen haben sich hinter den Speichen verheddert. Der Unglücksfahrer stellt sein Rad flugs kopfüber auf und wir werfen einen genaueren Blick auf das Malheur. Einer der Belgischen Fahrer kommentiert den Schaden spontan als irreparabel, bricht zusammen mit mehreren anderen auf und lässt den Pechvogel zurück. Recht ungläubig bleiben der Plauderkollege und ich beim Gestürzten zurück. Relativ schnell gelingt es mir, durch Strecken des Schaltwerks und Biegen zweier Speichen die Schaltröllchen hervorzuholen. Dennoch steht das Schaltwerk weiterhin im Laufrad. Die Kette liegt bereits auf dem Top Gear und so löse ich den Schnellspanner um das Laufrad heraus zu nehmen. Auch bei geöffnetem Bremskörper will dieses zunächst nicht so richtig gelingen. Doch mit zusätzlichen ruhigen Händen, die der weitere Helfer liefert, gelingt es, das Laufrad heraus zu friemeln. Überrascht erkennen wir einander, ein weiterer Allemand, Holger aus Essen, mit dem ich in 2009 gemeinsam auf dem ersten Deutschen Superbrevet, der Großen Bayern Rundfahrt war. „Hallo, coole Überraschung!“ und nebenbei erkenne ich, dass nicht nur das Schaltwerk verbogen ist, sondern insbesondere das Schaltauge am Rahmen verbogen ist. Dieses ist hier fester Teil des Rahmens und so ist es fraglich, wie es gerichtet werden kann. Zunächst muss erst einmal das fragile Schaltwerk zur Seite. Der Pechvogel „Phil“ hat sich inzwischen etwas gefasst und kann es mit seinem rostigen Werkzeug vom Auge ablösen. Bei der Suche nach einer geeigneten Werkbank fällt meine Wahl auf einen Telegraphenmast aus einem Stahlbetonprofil. Vom Oberrohr aus halte ich den Rahmen von der rechten Seite an Vorderrohr und Sattelstrebe so, dass ich das Schaltauge flach in eine Öffnung des Telegraphenmastes führen kann. Da einfaches Drücken nicht ausreicht, steigt Phil mit dem Fuß auf den Strebenschnittpunkt. Nach einigen Versuchen ist das Schaltauge wieder einigermaßen ausgerichtet und zum Glück noch nicht abgebrochen. Unsere kalte Schmiede hat Phil so sehr ins Schwitzen gebracht, dass er das Schaltwerk nicht mehr angeschraubt bekommt. Holger und ich können aber schnell helfen, auch wenn im Ergebnis nur die äußeren drei Ritzel genutzt werden können. Da wir viel Zeit verloren haben, sind die inneren, großen Ritzel ohnehin überflüssig, um wieder Anschluss an die Gruppe zu finden. Mit hartem Tritt ziehen Holger und ich voran und saugen Phil im Schatten mit. Die Strecke enthält auf Ortsdurchfahrten zahlreiche Baustellen auf denen Räder und Fahrer satt mit feuchtem Lehm verziert werden. Der Schmadder ist so übel und verleiht mir unterhalb der Knie so etwas wie eine Fangopackung. Rasch sammeln wir noch einen Plattfußpiloten ein und ziehen auch ihn mit, um einige Kilometer später, noch vor der ersten Kontrolle in Hoegaarden wieder auf unsere Gruppe aufzuschließen.

So treffen wir nach 62 Kilometern am Café Brem auf die übrigen Starter, die dort entspannt einen kleinen Koffie schlürfen und ihre Brote auspacken – in Deutschland nahezu unvorstellbar. Meinem Koffeinbedarf entsprechend bestelle ich mir sofort einen „Tall American“, einen großen Becher Kaffee, für den ich nur 1,50 Euro zahlen muss.

Am Waschbecken versuche ich sodann mit Seife den Teil der Kettenschmiere los zu werden, der sich nicht mittels Moos abreiben lies. Als ich wieder in den Gastraum komme, ist Holger bereits aufgebrochen. Da es inzwischen trocken ist und die Temperaturen weiter angestiegen sind, tausche ich meine Regenjacke gegen ein langes Trikot aus meinem Rucksack und ersetze die wasserdichten, dicken Winterhandschuhe durch ein paar dünne Fingerhandschuhe. Bei der Weiterfahrt in der Sonne, die ich nun in einer fünfköpfigen Gruppe bestreite, werde wir nach etwa einer halben Stunde von heftigem Regen überrascht. Mein langes Trikot ist sofort durch und daher halte ich umgehend an einem Bushäuschen. Das Umziehen gestaltet sich widrig und erfordert mehr Zeit als gedacht. Zuerst verheddert sich der Reißverschluss, dann wollen die Ärmel nicht über Handschuhe. Also wieder in die Ärmel geschlüpft, Handschuhe aus und raus aus der Jacke. Regenjacke ausgepackt und die Handschuhe fallen auf den Boden. Na ja, als ich dann soweit bin, ist der Rest der Gruppe weit weg. Also dann mal los, ab in die Pedale. Zu allem Überfluß warnt nun mein GPS „Batterie schwach!“ Also trete ich noch heftiger in die Pedale und der Regen mindert indes das heftige Knirschen der Kette. Doch auf den nachfolgenden Anstiegen versagt mein vorderer Umwerfer infolge des Schmadders und so kann ich nur mit Hilfe des rechten Schuhs auf das kleine Kettenblatt umsetzen. Auf einer schmalen Straße durch ein Gehölz fällt mein GPS aus, doch hier entdecke ich meine Gruppe in kurzer Entfernung vor mir. „Nun aber los“, aber beim Shiften auf das große Kettenblatt fällt die Kette ab und schlägt zu allem Überfluß eine Schlaufe. Runter vom Rad, Schlaufe aufgelöst, die Kette wieder auf das Blatt und die anderen Radler sind weit weg. Erneut starte ich mein GPS, das sich langsam die Satteliten sucht und kann nun weiter. So gelange ich in die nächste Stadt und mache mich auf die Suche nach einem Laden, in dem ich Batterie kaufen kann. In der Einkaufsstraße der Altstadt sind unzählige Fachgeschäfte, aber bei Florist, Reisebüro, Teppichhändler, Bäcker, Glaser und Friseur gibt es keine Batterien. So muss ich mich durchfragen und die Mademoiselle am Straßenrand erklärt mir den Weg zum Supermarkt am Rande der Stadt, der diese kleinen Batterien hat. Auf dem Weg dorthin passiert eine weitere Gruppe von Randonneuren eine unterhalb meiner Straße verlaufenden Parallelstraße und ich versuche rasch anzuschließen. Doch beim Hinausfahren aus der Stadt gerät die Gruppe irgendwo im Wirrwahr der Abzweigungen aus meinen Augen. Nochmals kann ich mein GPS in Gang setzen und treffe auf meinem Ritt mit „un petit 53“ zunächst auf einen einzelnen und dann treffen wir zusammen auf einen zweiten Radler des Brevets. Beide sind nur mit Karte unterwegs und sehr unterschiedlich orientiert. Mein GPS setzt nun immer wieder aus, sobald ich über härtere Bodenwellen rolle. Doch soweit ich die beiden mit meinem GPS ziehen kann, will ich dies tun. Wir machen in flottem Tritt so einige Kilometer gemeinsam, doch an einer deftigen Steigung verweigern die beiden und wollen unbedingt einer ihnen bekannten Alternativstrecke folgen. So klettere ich alleine die Steigung hinauf, an deren Ende die Stadt Hoeilaart naht. Innerstädtisch entdecke ich einen Radio- /TV-Handel mit Werkstatt und kann dort neue Batterien für mein GPS erwerben. Noch bevor das GPS die Satteliten erfasst hat, nehme ich die Verfolgung zu einem vorbeihuschenden Radler auf. Doch nachdem das GPS „up“ ist, verlassen wir just den Track. „War wohl doch keiner von uns“, denke ich und begebe mich wieder auf den Track. Alleine trete ich nun ungebremst über den Track. Trotz des dauerhaften Nieselregens erlebe ich das Radeln durch den Park von Tervuren mir großer Begeisterung. In der Stadt Mechelen am Café de Brug angekommen, sind meine Finger steif und ich schlüpfe hier wieder in meine Winterhandschuhe. Dabei bin sehr erleichtert, dass nur noch gut 53 km vor mir liegen. Im Weiteren quere ich um 13.10 Uhr die Belgische Autobahn A1 und gelange wenig später an das Ufer eines Kanals. Die Wege neben den Kanälen sind hier wunderbare, ebene Radpisten ohne irgendwelche Berührung mit Kraftfahrzeugen – „cool!“ So mache ich meinen Weg weiter alleine entlang den Wasserläufen und das Tempo bleibt satt. Zwei Kilometer vor Morkhoven kommen mir bereits zwei der lila Radler, mit der Werbung von „Martens Hochbrückenbau“ entgegen. Genau als ich an der Turnhalle eintreffe, bricht Holger, noch im Radlerdress, mit dem Auto zur Heimreise auf. Es ist 16.45 Uhr und ich werfe meine Brevetkarte bei Jan zu Hause in den Briefkasten. Als ich wieder zurück an der Turnhalle bin, sind weitere Radler am Ziel eingetroffen. Ein junger Mann öffnet die Türen zur Turnhalle und so drängt es mich unter die Dusche. Leider ist und bleibt das Wasser kalt, doch das kann einen Randonneur eben nicht erschüttern. Wohl erfrischt verlade ich mein „spurenbehaftetes“ Rad sowie die nassen Kleidungsstücke in meinen Wagen und breche auf. Doch tue ich das nicht ohne in Herentals eine Ration vom leckeren Duvel Speciaal aufzunehmen. Automobile Beeinträchtigungen zwingen mich jedoch zu einer nächtlichen Pause in Oberhausen und so erreiche ich Zeven erst am folgenden Tag. Genau 12.20 Uhr treffe ich am Vereinsheim ein, doch Gerrit ist bereits alleine und kann mir nur noch berichten dass heute sechs Radler auf MTB den Sonntag eingeläutet haben.

Bon Courage!