Toerclub Swolland, „Drenthe“ oder „Regen in den Lowlands“, Zwolle, 7.-8. Mai 2010, Brevet 400

Veranstaltungs-Link: Lowlands1000.nl

Nach drei Stunden staufreier Anfahrt (über Oldenburg und nicht über Cloppenburg) erreiche ich um 18.00 Uhr den Startort an der Sporthalle im Ossenkamp im Gewerbegebiet von Zwolle. Der »Toersclub Zwolle Zwolland« hat vor der Halle der »Landstede Basketballer« zur Begrüßung der Randonneure ein großes Transparent von der NTFU (Nederlands Toer Fiets Unie) aufgespannt. Da sonst noch niemand vor Ort ist, schaue ich noch kurz in die Stadt, um etwas Proviant aufzunehmen: Datteln, Schwarzbrot und leckeren Käse. Kurz vor sieben bin ich wieder an der Sporthalle und es fährt ein in die Jahre gekommener Bulli auf. Eugene transportiert damit seine gelbe Zigarre (Velomobiel) und will heute sein drittes Brevet in Angriff nehmen. Danach rollt Rich heran mit einem Sculling Bike (= Rudergerät auf zwei Rädern). Er kommt aus Groningen ist nun mal eben 115 km herangerudert.

Das Gefühl selbst Exot zu sein, verlässt mich zunächst aber wieder, als ein weiterer Road Biker eintrifft. Als nächstes kommen gemeinsam eine gelbe und eine blaue Zigarre angerollt. Aus der gelben klettert Gerrit, der mich als Organisator ganz herzlich willkommen heißt. Nachdem ich mich umgezogen habe, treffen nach und nach insgesamt 20 Randonneure ein. Mit der Unterstützung eines netten Kameraden führt Gerrit souverän die Einschreibung durch, während die Wartenden noch ein paar Koffies genießen und etwas plaudern.

Kurz vor 21.00 Uhr begeben sich alle vor die Tür zu ihren ausschließlich muskelbetriebenen Rädern. Vor einer Kulisse von einem Skulling Bike, fünf Zigarren (3x gelb, 1x blau, 1x schwarz) und zehn Road Bikes richtet Gerrit noch einige erläuternde Worte zum Streckenverlauf und zu den Kontrollstellen an alle Starter – nur einer versteht ihn nicht.

Es ist nun 21.00 Uhr, die Nacht bricht ein und das Feld unter Führung der fünf Zigarren auf. In gemächlichem Tempoverlassen wir bebaute Gebieten und begeben und in ländliche. Das Tempo zieht heftig an und wir durchfahren zunächst einen Ort und dann unendliche Verbindungsstraßen nach Art der Zevener Fußgängerzone: Fischgrätpflaster, dass die Beine eines flotten Radlers heftig strapaziert. Als ich wieder glatten Asphalt genießen kann, wage ich endlich einen kurzen Blick nach hinten – uups, es ist leer! Vor mir die gelbe Zigarre von Gerrit, die schwarze Zigarre und Rich mit dem Skulling Bike, aber hinter uns ist alles dunkel. Flotten Trittes ziehen wir also durch den leichten Niesel weiter gen Groningen. Der Asphalt der Straßen befindet sich in einem Zustand, den man in Norddeutschland nach dem letzten Winter kaum irgendwo finden kann. Die Fietspads sind herrlich breit und wunderbar frei. Sie sind absolut unvergleichbar mit den Radwegen zwischen Weser und Elbe, die nicht nur optisch immer wieder den Charakter eines Rinnsteins zwischen Autostraße und Acker haben. Dort wo auf schmalen Straßen kein getrennter Fietspad eingerichtet ist, findet sich für die Fietsen beidseitig ein abgestrichelter Fahrstreifen, der einen sauberen Ablauf hat und nicht in einem Bankett verschlammt oder eigentlich nur als Gullitrasse dient. Auf wunderbaren Fahroberflächen in Swolland fliegen wir also voran und haben bei Kilometer 75 auf der Höhe von Assen eine Schnitt von 36 km/h drauf. Die Zigarren sausen durch die Nacht ohne dass eine Bewegung der Piloten erkennbar ist. Nur die Rückleuchte und die große rote Reflexfolie am Heck lassen sind für den Nachfolger als heiße Glut erkennbar. Völlig überraschend kommt die schwarze Zigarre direkt vor mir aus voller Fahrt ins Schleudern und überschlägt sich mehrfach bis sie auf der Seite quer auf dem Fietspad liegen bleibt. Der Pilot krabbelt absolut unverletzt heraus, ist aber sichtlich erschrocken. Sein Gefährt hat zahlreiche Kratzer erlitten und wir suchen seine Ausrüstung im dunkeln mühevoll wieder zusammen. Der Sturzpilot grübelt, ob er hier abbrechen soll und ich fange kräftig an zu frieren. Um nicht zu erstarre, steige ich auf mein Rad und fahre ein wenig auf und ab. Nachdem wir inzwischen 10-15 Minuten verweilt haben, trifft auch eine weitere gelbe Zigarre ein. Dann geht es plötzlich weiter. Zunächst ganz vorsichtig, aber dann im bewährten Tempo. Irgendwann biege ich der schwarzen Zigarre und dem Skulling Bike folgend mit ihnen falsch ab und bekomme nur zu hören, „we are off track!“ Kurz danach fliegt Rich in einem Kreisverkehr aus der Kurve, aber er kommt unbeschadet zum stehen. Die schwarze Zigarre steuert uns nun wieder auf den Track zu. Wir fahren auf einem Wirtschaftsweg und in einiger Entfernung nähert sich jenseits eines Grabens auf einer parallelen Straße ein Feld von Road Bikes. Wir vermuten und erkennen dann, nachdem uns nur noch der Graben trennt, dass es die neun Road Biker sind, mit denen wir gestartet waren. Kurz nach einem Bahnübergang stossen die beiden Wege dann aufeinander, aber wir ziehen der Gruppe wieder davon. Ca. zehn Kilometer weiter treffen wir nach insgesamt 111 Kilometern an der ersten Kontrollstelle in Groningen ein, der Esso-Tankstelle vor dem IKEA am Europaweg, wo Gerrit und die andere gelbe Zigarre uns schon erwarten.

Wenig später treffen auch die anderen Road Bikes ein.

Alle Fahrer greifen zuerst einmal zu einem wärmenden Koffie und füllen dann ihre Getränkespeicher auf.

Es ist inzwischen nach Mitternacht, also Samstag, der 8.Mai und von anderen Kunden der Tanke bekommen wir spaßig gesteckt, dass der Prolog zum Giro d’Italia heute nicht in Groningen, sondern in Amsterdam stattfindet. Die schwarze Zigarre will nun aussteigen. Während Gerrit und die andere gelbe Zigarre auf die übrigen Zigarren warten wollen, drängt es die Road Biker wieder auf die Straße.

Die Beine jucken und so will ich auch weiter. Wir quälen uns zunächst durch die städtischen Ampelschaltungen und finden dann den Weg aus der Stadt hinaus. Draußen läuft es dann etwas flotter. Einer der Road Biker tritt als Kapitän auf und ordnet zeitig Wechsel an. Doch die Gruppe ist recht schwunglos und wird bald von einigen Zigarren überholt. Bereits bei meiner dritten Führung zeigt sich, dass Wechseln unangebracht ist. Statt eines Wechsels auf 31 tut es eine Kontinuität hinter 35 doch effektiver. Frohen Mutes ziehe ich den Treck viele Kilometer voran. Leider wird aus dem leichten Niesel nun immer häufiger Pladderregen und sogleich macht mir die Kälte weit mehr zu schaffen. Auf der Hälfte der zweiten Etappe halten wir zum kurzen Pullerstop und ziehen dann weiter. Hier verlieren wir wohl vier unserer Begleiter und ziehen nun zu fünft weiter. Die Kälte plagt mich immer mehr, die Führung teile ich immer mehr mit zwei anderen und es folgen noch einige Pullerstops. Irgendwann fahren nun drei der Zigarren, deren Piloten so wunderbar im Trockenen sitzen, an uns vorbei. Als wir bei Kilometer 224 die Shell-Tanke an der Autobahnraststätte in Zwolle erreichen, sind die Zigarren schon vor Ort. Mir ist fürchterlich kalt und ich bin ganz schön alle. Zuerst inhaliere ich gierig zwei kleine Becher Kaffee und erst nach einigen Minuten komme ich dazu, an meine nassen Kleider zu denken.

Die durchweichten Winterhandschuhe werden ausgewrungen und landen im Tausch gegen kurze Radhandschuhe im Rucksack. Das patschnasse lange Vereinstrikot muss weichen. Ersatz ist nun die Regenjacke. Meine Windsocken ziehe ich mir kurz vom Fuß, kann aus Ihnen sehr viel Wasser auswringen und noch schnell die Einlagen der Radschuhe ausschlagen, bevor ich wieder hineinschlüpfe. Nun erst erfahre ich, dass wir nur drei Kilometer vom Startpunkt entfernt sind, wo in meinem Auto trockene Kleider und Radschuhe liegen. Doch nun geht es weiter, Gerrit gibt das Signal zum Aufbruch. Als wir über den kleinen Steg zum Wirtschaftsweg fahren und eben wieder losfahren, begegnen uns zwei unser verlorengegangenen Begleiter. Langsam fahren wir wieder an. Die Kälte ist grausam, doch die Dämmerung ist durchgebrochen und wir radeln auf in denn neuen Tag. Unsere Fünfergruppe hat sich gut eingespielt. Die Wechsel klappen schnell und reibungslos. So fahren wir weiter und weiter unter dem dunklen Wolkenhimmel und bekommen nur dann und wann etwas Niesel ab. Zumeist kommt das Nass von unten oder von vorn, vom Hinterrad des Vorausfahrenden. Seit über 24 Stunden bin ich nun wach und spüre immer mehr, wie müde ich inzwischen bin. Doch es geht weiter und weiter. Knapp 20 Kilometer vor der dritten Kontrolle habe ich meinen Tiefpunkt überwunden. Das Rad rollt wieder richtig flott und so treffen wir mit gutem Schwung fast gemeinsam mit den drei Zigarren bei der Bäckerei Jordy Schepers ein.

Nach 291 Kilometern erfahren wir freundlichste Begrüßung, aber extremen Unglauben für das, was wir da machen.

Die vielfältigen Auslagen an Vollkorngebäck sind nicht gerade das, was mir in den Niederlanden sonst an weichen Brötchen begegnet. So lasse ich mich bequem nieder auf den einladenden, weich gepolsterten Stühlen. Ich genieße leckeren Koffie und dazu einen saftigen Vollkornkuchen und besonders schmackhafte Vollkornkekse.

Nach einer solchen Stärkung fährt es sich gleich noch viel besser.

Also rollen wir wieder. Während die Tour bisher eigentlich nur flach war, stoßen wir nun erstmals auf etwas Profil – fein, dann wird es ja auch nicht langweilig. Diese vorletzte Etappe ist wiederum fast 90 Kilometer lang und kurz bevor sie beenden öffnet sich erstmals die düstere Wolkendecke. Es wird zwar nicht gleich warm, aber sogleich sieht alles viel freundlicher aus. Pardauz, Platten am Hinterrad. Die Panne ist zwar schnell behoben, aber die Hände sind maßlos eingesaut. Zwei Kilometer später erreichen wir die letzte Kontrollstelle, eine Gastwirtschaft in Lemele. Hier finden wir, nach Reinigung der Hände kurz Zeit für einen Koffie und dann geht es auf das Ende. Frohen Mutes treten wir also weiter und es sind nur noch wenige Kilometer bis zum Ziel. Doch in den Niederlanden haben die Straßen häufiger auch mal etwas andere Kreuzungen. Eine der unzähligen Klappbrücken ist auf, damit einige Wasserfahrzeuge passieren können und so müssen wir eben warten.

Unsere Fünfergruppe, die sich auf der Rückfahrt von Groningen gefunden hat, nimmt schnell den Rest unserer Tour durch die Lowlands. Fast zeitgleich mit den drei Zigarren und dem Skulling Bike beenden wir nach 16 Stunden dieses Brevet. 405 Kilometer und ein Fahrschnitt von 30,6 km/h. Die herzliche Einladung für den 29. Mai zum 600er ins Sauerland und zum Superbrevet am 13. Juli muss ich leider ablehnen, denn mein Tourenplan 2010 enthält bereits andere Ziele.

Der Weg ist das Ziel!

Zwolle – Groningen – Zwolle-Haerst – Westerbork – Lemele – Zwolle 405,3 km

(16 Heures 10 minutes)