Die Reise zum nördlichsten Ort Deutschlands

Da rolle ich am Donnerstag so sanft nach 100 Minuten mit dem Robert abschließend über die K130 zum Büro und neben mir öffnet sich in Höhe Offensen das Seitenfenster eines Streifenwagens. Freundlich spricht der Beamte auf dem Beifahrersitz einen Verweis aus, ich möge doch bitte den Radweg auf der linken Seite benutzen, denn dafür sei er gebaut worden. Dem leiste ich doch sogleich folge und umfahre genüsslich die auf dem Radweg abgestellten  Mülltonnen. Die Krönung ergibt sich aber erst, als ich dem Radweg folgend an die K134 Richtung B71 gelange und beinahe gegen einen Wegweiser brettere, den die Fallschirmjägerzunft quer auf dem Radweg platziert hat: „GELÖBNIS“ – ???

Heute ist Samstag, der 3. März 2012 und der Audaxclub Schleswig-Holstein hat zu einer Gruppenausfahrt zum nördlichsten Ort der Republik eingeladen. Um 5.30 Uhr treffe ich am Autohof Allermöhe (süd-östlich von Hamburg) ein und begegne dort sogleich dem Hamburg-Berlin-Duo Heiner & Klaus. Nach einem ordentlichen Pott Kaffee und einem kernigen Käsebrötchen wird es nun auch Zeit, den HANSA-Robert klar zu machen. Pünktlich um 6.10 Uhr geht es dann los mit zehn Fahrrädern und 22 Pedalen. Gemeinsam rollen wir entgegen dem Uhrzeiger um die Stadt herum. Es ist trocken und dazu weht ein Wind aus Ost, der uns viel Mut für unser Unterfangen gibt. Noch kurz vor der ständig verschrankten Fahrradtrasse signalisiert Michael die erste Panne: Kein spektakulärer Felgenberster, nur ein gewöhnlicher Plattfuss. Die Halbschranken der Fahrradtrasse, zwei Paare an jeder Wegesquerung, sind schon für Soloräder übelste Schikane, aber für den Lieger-Hambug und den HANSA-Robert gibt es kein Durchschlängeln. Da heißt es Absteigen und manchmal sogar Hinüberheben. Unter Umständen führt dies sogar zu einer Panne, wie zum Beispiel einer vollständigen Blockade der hinteren Scheibenbremse vom HANSA-Robert. – Man stelle sich eine Verkehrsregel vor, dass motorisierte Fahrzeuge beim Queren von Radwegen nur geschoben werden dürfen!? –

Zum Aufstieg der Sonne wird es nochmals etwas kühler und so offenbart sich der Raum Bad Oldesloe noch in winterlich gereifter Pracht. Als wir um 12.15 Uhr bei Breiholz mit neun Fahrrädern und 20 Pedalen mit der Fähre den Nord-Ostsee-Kanal queren, kommt sogar die Sonne richtig durch. Nur der kühle Wind verleiht uns die Gewissheit, dass es noch früh in der Saison ist. Burkhards Route führt uns konsequent über Land. Wir passieren keine größeren Orte. So ist die ohnehin knappe Zahl an Versorgungsmöglichkeiten zusätzlich noch durch den frühen Geschäftsschluss der wenigen kleinen Läden arg begrenzt. Es bleiben wenige Tankstellen. Gestärkt von Sonne und Ostwind purzeln die Kilometer nur so dahin. Doch nun zischt es nochmals. Um 13.50 Uhr fängt Burkhard sich einen Plattfuß ein. Heiner & Klaus ziehen es vor, langsam weiter zu treten und der Lieger-Hamburg ist auch schon seit einiger Zeit alleine unterwegs. Da Michael in puncto Pannenservice schon zur Höchstform gelangt ist, hat er auch hier schnell abgeholfen. Indes lädt das schützende Buswartehäuschen dazu ein, sich nieder zu lassen und Brote auszupacken.

Kaum 15 Minuten sind wir wieder auf der Straße, da wird unser Treck unerwartet von einer geöffneten Tankstelle angezogen. Soeben bestanden noch gute Chancen den 16.00-Uhr-Zug in Niebüll zu erreichen, doch die erneute große Pause raubt diese Aussicht und Michael ist kurz vor dem Platzen. Das Für und Wider nun erst den Zug um 17.00 Uhr erreichen zu können, erhitzt die Gemüter. So lenke ich gern den Druck auf die Pedale um. Somit treffen wir bereits sehr zeitig vor dem 17.00-Zug am Bahnhof von Niebüll ein. Heiner & Klaus sind bereits vor uns eingetroffen. Sie wollen aber nicht mehr über den Damm, sondern möchten erschöpft und froh mit der Bahn zurück nach Hamburg abreisen. Einschließlich dem Lieger-Hamburg kehren wir nun nach Ableistung der Hauptstrecke von 240 Kilometern verdient im Bahnhofsbistro ein.

Da Burkhard schon die passenden Gruppen- und Fahrradtickets gelöst hat, können wir entspannt in den nur fünf Minuten verspäteten Zug steigen und mit ihm über den Hindenburgdamm auf die Urlaubsinsel Sylt übersetzen. Wir verlassen die Eisenbahn am Bahnhof Kempen und treten nun den letzten Teil unserer Tour zum nördlichsten Ort Deutschlands an. Prägendes Bild der Insel sind die meist niedrigen, reetgedeckten Häuser. Entlang dem Ostufer pedalieren wir gen Norden und der Ostwind bläst uns kräftig vom Festland zu. Schon nach wenigen Kilometern fahren wir unter einem imposanten Raubtier der Lüfte hindurch. Ein Seeadler schlägt seine kräftigen Schwingen um aus fester Position in der Luft den Boden zu sondieren. Wir radeln weiter und ich entdecke zahlreiche markante Bäumchen. Es sind Birken, die bei uns im Moor lang und dünn hinauf ragen, aber hier durch Salz und Wind geprägt gedrungen und bizarr wirken. Wie knorrige Olivenbäume.

Entlang den Dünen, von denen nur einige wenige blank sind, weil sie vom Sand beweht werden, erreichen wir nach zwanzig Kilometern entlang dem Ostufer zu acht auf sieben Fahrrädern die Ortstafel von List auf Sylt. Der fortschreitenden Dämmerung wegen werden sogleich ein paar Beweisfotos geschossen.

Wir haben den nördlichsten Ort von Deutschland erreicht: 18.10 Uhr. Unser geplanter Retourezug wird um 19.20 Uhr in Westerland abfahren und daher treten fünf Radler bereits den sicheren Rückzug an. Vier auf drei Fahrrädern lassen es sich jedoch nicht nehmen, nun auch noch ins Zentrum von List, den Hafen zu pedalieren.

In letzter Dämmerung strampeln wir auf einem Radweg, der uns mitten durch die Dünen führt, in Richtung Süden. Bei vollständiger Dunkelheit steuern wir wieder auf die Straße und treten nun nochmals kräftig in die Pedale. Vier Minuten vor der Abfahrt des Zuges erreichen wir glorreich den Bahnsteig, begeben uns mit den Rädern in den Zug und schließen auf der knapp vierstündigen Bahnfahrt nach Hamburg, soweit es geht entspannt die Augen.

Bonne Route!